Sonntag, 13. Januar 2013

Schulz und Schulz


Ich trinke Astra, weil das Fassbier nicht schmeckt. Die große Liebe ist es nicht, aber ich traue mich nicht Rotwein zu bestellen. Wir sind zwar noch im Wedding, doch dem Prenzlauer Berg so nahe, dass es "Schwaben jagen" Graffiti gibt. Niemand in dieser Kneipe wurde in Berlin geboren, aber man muss es ja nicht raushängen lassen.  
Schultheiß gibt es auch. Schultheiß bestellen hier nur Zugezogene, meistens mit tiefer gelegter Stimme und einem angestrengt schnorrigem: "Meesta, eenmal Schulle! Keule!". Nichtmal in Hohenschönhausen oder Spandau reden die Leute so. Um also nicht Zugezogen-arrogant zu wirken kein Rotwein und um nicht Zugezogen-anbiedernd zu wirken kein Schultheiß. Naja. Aber Astra ist okay. Das Nachbarsmädchen unter den Bieren. Man schämt sich am nächsten Morgen nicht, verabschiedet sich mit Wangenkuss. Die Kumpels nicken verständnisvoll. Eine Notlösung. Mit dem Geschmack von gezuckten Achseln.  
David erzählt. Er hat einen ZSK-Pullover an, eine Glatze, ist engagiert und weiß mehr über hormonelle Verhütung als die Frauen am Tisch. Vegan ist er auch. Natürlich. Trotzdem nett. 
"Ich wohn mit nem Nazi zusammen. Ja, 'nem Nazi – nein, nicht in 'ner WG. Im gleichen Haus, Mann. Aber das ist hier nicht das Problem. Der Typ heißt Daniel Schulz." Ich gucke ihn fragend an. "Mann, ich heiße auch Schulz. Genauso geschrieben. Nicht wie Schultz und Schulz aus Tim und Struppi. Das Arschloch kriegt immer meine Post. Und ich manchmal seine."  
"Daniel ist aber nicht gerade ein guter Name für einen Nazi" wirft Sara ein. Sara studiert Judaistik und kann sich eine Meinung zu passenden Namen erlauben. "Einer der mecklenburger NPD-Landtagsheinies heißt Andrejewski" klugscheiße ich. Wir sind uns einig, dass wir Nazis nicht mögen.
"Auf jeden Fall", fährt David fort, "Auf jeden Fall zieh ich immer möglichst neutrale Klamotten an, wenn ich meine Post hol. Will die halt auch weiter kriegen. Und dann darf ich mir sein Geschimpfe über die "Kanacken und Schwuchteln" von der "Bundesdeutschen" Post anhören. Als ob es noch 'n anderes Deutschland gäbe. Oder 'ne andere Deutsche Post. Scheiße, Mann. Ich steh dann immer da und hippel so rum, damit der Fascho denkt, dass ich pinkeln muss. Dann beeilt er sich mit dem Hetzen. Ich bring dem sogar seine Post! Sonst sieht der noch meine Wohnung. Und wenn das passiert, veranstaltet der bestimmt 'ne Postverbrennung mit seinen Kumpels. Aber hey: Die Urlaubskarten meiner Mutter würden das Schicksal der Bücher von Erich Kästner teilen. Immerhin."
Man muss sich eben arrangieren mit den Umständen. David arrangiert sich mit Daniel, Daniel mit seinem Vornamen, Andrejewski mit seinem slawischem Blut und ich mich mit Astra.

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